Wir freuen uns, dass zu diesem wichtigen, im Jahre 2000 von der Deutschen Hirntumorhilfe initiierten Gedenktag, Herr Prof. Dr. Bodo Lippitz einen informativen Beitrag zu den Behandlungsmöglichkeiten 2019 für uns verfasst hat. Prof. Dr. Lippitz leitet gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Florian Würschmidt das Interdisziplinäre Centrum für Radiochirurgie (iCERA) in der Radiologischen Allianz.
Hirntumoren und ihre
Behandlung 2019
In
der Behandlung der Hirntumoren ist viel ist geschehen in den letzten 10
Jahren. Operationen sind weniger invasiv
und sicherer geworden, die medikamentöse Therapie ist spezifischer und weniger
belastend und der technologische Fortschritt in der Strahlentherapie erlaubt
eine zunehmende Fokussierung auf die betroffenen Regionen und die Schonung
gesunden Gewebes. Zusammengenommen: die Behandlung ist heute gezielter,
effektiver und weniger belastend für den Patienten.
Grundsätzlich
unterscheidet man bei den Tumoren im Bereich des Gehirns gutartige und damit
langsam und lokal wachsende von bösartigen und schnellwachsenden Tumoren. Da
sich alle diese Tumoren im Bereich des Gehirns ausdehnen, werden
Gehirnregionen durch mechanischen Druck oder durch andere Prozesse
beeinträchtigt, so dass die Funktionen, die in den angrenzenden Hirnregionen in
Mitleidenschaft gezogen werden können. Das Resultat können sogenannte
neurologische Symptome sein, wie das Auftreten von epileptischen Anfällen oder
auch von Lähmungserscheinungen, Doppelbilder, Seh-oder Sprachstörungen etc.
Diese Symptome können langsam, aber auch bisweilen relativ plötzlich wie ein
Schlaganfall auftreten und müssen somit sofort ärztlich abgeklärt werden. Der
Arzt wird in dieser Situation zur Abklärung in der Regel eine Magnet-Resonanz-Tomographie
veranlassen, welche wegweisend für die
weitere Therapie ist. Viele der Symptome sind rasch medikamentös zu behandeln,
da sie oft nicht direkt durch den Tumor, sondern durch eine Schwellungsreaktion
erzeugt werden.
Gutartige Tumoren sind langsam wachsend und verdrängen
das umliegende Hirngewebe, ohne es zu infiltrieren. Typische Vertreter:
Meningiome, Akustikusneurinome oder Hypophysenadenome. Es gibt aber auch
gutartige Tumoren, die vom Gehirn selbst ausgehen wie pilocytische Astrozytome
oder Ependymome. Grundsätzlich werden sehr kleine gutartige Tumoren in der
Regel zunächst beobachtet und erst aktiv behandelt, wenn ein Wachstum
nachweisbar ist. Immer wieder gibt es aber auch hier Stimmen, die zu einer sehr
frühzeitigen Behandlung unmittelbar nach Diagnose raten. Früher wurden die
meisten gutartigen Tumoren operiert, wenn es nötig war. Viele dieser Tumoren
liegen jedoch in der Schädelbasis und sind von wichtigen Hirnnerven umgeben.
Deshalb operiert man in den letzten Jahren seltener und weniger radikal, um neurologische Funktionen nicht zu
gefährden und insbesondere Doppelbilder, Hörverlust oder eine Gesichtslähmung
zu vermeiden. Die Operation ist aber insbesondere bei größeren Tumoren
unumgänglich, um das Gehirn zu entlasten. Eventuell verbliebene Tumorreste werden
dann in der Regel relativ früh bestrahlt, um ein erneutes Wachstum zu
verhindern.
Diese
Bestrahlung geschieht heute idealerweise mit gezielten Techniken, der
stereotaktischen Radiochirurgie, welche die Bestrahlung auf den Tumor
konzentriert. Verwendete Präzisionsgeräte sind dabei Gamma Knife, Cyberknife
oder speziell adaptierter Linearbeschleuniger, selten auch Protonentherapie
etc. Bei vielen Tumoren ist diese gezielte ‚Strahlenchirurgie‘ oder
‚Radiochirurgie‘ ähnlich wirksam wie eine operative Tumorentfernung. Deshalb
hat man vor vielen Jahren begonnen, bei manchen gutartigen Tumoren sogar auf
eine Operation zu verzichten und stattdessen eine ‚Radiochirurgische‘ Behandlung
einzusetzen. Dies geschieht sogar ambulant ohne Krankenhausaufenthalt, bedeutet
eine geringere Belastung des Patienten und ein geringeres Risiko für Nebenwirkungen.
Wichtig ist diese Alternative insbesondere für Akustikusneurinome, Meningiome
und (inoperable) Hypophysenadenome.
Bösartige Tumoren des Gehirns können schnell wachsen
und sind in der Regel nicht auf einen Ort begrenzt. Manche dieser Tumoren sind
sogenannte Metastasen und stammen von anderen Krebstumoren des Körpers, die
‚gestreut‘ haben, wie z.B. einem Lungenkrebs oder Brustkrebs. Andere bösartige
Tumoren stammen vom Gehirngewebe, werden als ‚hirneigene‘ Tumoren bezeichnet,
darunter maligne Gliome oder auch Glioblastome. Aufgrund ihres
unterschiedlichen Verhaltens ist die Therapie der bösartigen Hirntumoren sehr
verschieden.
Hirnmetastasen können einzeln, aber auch in größerer
Zahl auftreten. Auch hier gilt, dass größere Hirnmetastasen operativ entfernt
werden sollten. Das tut der Neurochirurg.
Früher
hat man beim Auftreten kleinerer Hirnmetastasen in der Regel eine sogenannte
fraktionierte Ganzhirnbestrahlung eingesetzt. Dabei wird das ganze Gehirn in ca.
10 Sitzungen mit geringer Dosis bestrahlt. Viele Hirnmetastasen, wie z.B. die
der Melanome oder Nierenzellkarzinome, sprechen leider nur unzureichend auf
die Ganzhirnbestrahlung an. Auch bei Patienten mit Hirnmetastasen von Lungenkarzinomen
ist der Behandlungseffekt der Ganzhirnbestrahlung nicht ausreichend, wie aktuelle
randomisierte Studien belegen. Darüber hinaus hat eine fraktionierte
Bestrahlung des ganzen Hirns ein deutliches Risiko für Nebenwirkungen wie
Gedächtnis-und Konzentrationsstörungen, die kaum zu vermeiden sind. Früher
glaubte man, dass eine Bestrahlung des ganzen Gehirns neuen Hirnmetastasen vorbeugt.
Auch dies hat sich leider so nicht bestätigt.
Deshalb
vermeidet man zunehmend die fraktionierte Bestrahlung des ganzen Gehirns und
ist in den letzten Jahren weltweit dazu übergegangen, kleinere Hirnmetastasen
bei hoher Präzision mit gezielter ‚stereotaktischer Radiochirurgie‘ zu
behandeln, um den Therapieeffekt im Bereich der Tumoren zu erhöhen und
gleichzeitig das gesunde Gehirn zu schützen. Die Präzisionsbestrahlung wird mit
dem Gamma Knife in einer einzigen Behandlungssitzung erreicht. Alternativ kann
man eine gezielte ‚stereotaktische‘ Bestrahlung auch mit speziell ausgerüsteten
Linearbeschleunigern umsetzen oder auch mit dem sogenannten Cyberknife. Dann
wird die radiochirurgische Behandlung oft in mehreren Sitzungen verabreicht.
Der Vorteil des gezielten radiochirurgischen Vorgehens ist, dass insbesondere
die Behandlung mit dem Gamma Knife beim Auftreten neuer Metastasen wiederholt
werden kann. Die fraktionierte Ganzhirnbestrahlung dagegen, sollte nicht wiederholt
werden.
Die
Krebstherapie hat auch durch die Entwicklung der Immuntherapie in den letzten
Jahren enorme Fortschritte gemacht. Dieser Trend geht Hand in Hand mit der
gezielten Strahlenchirurgie.
Früher
behandelte man aus technischen Gründen nur bis zu drei Hirnmetastasen mit
‚Radiochirurgie‘. Durch die aktuelle technische Entwicklung ist diese
Begrenzung jedoch überholt. Da Hirnmetastasen häufig in größerer Zahl
auftreten, ist es wichtig alle diese Tumoren auch gezielt zu behandeln. Dies
ist insbesondere mit dem Gamma Knife möglich, wobei bis zu 14 Hirnmetastasen in
einer einzigen Sitzung behandelt werden. Aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse
zeigen, dass dies sinnvoll und möglich ist.
Glioblastome sind ‚hirneigene‘ bösartige Tumoren,
sind nicht scharf abgrenzbar und infiltrieren schon früh das umliegende gesunde
Hirngewebe. Dadurch ist eine lokal begrenzte Behandlung ist somit nicht wirklich
möglich und die Behandlung grundsätzlich anders. Die operative Tumorentfernung
steht hier immer im Vordergrund. Danach wird heute in der Regel eine
fraktionierte Bestrahlung und eine ‚Systemtherapie‘
mit Medikamenten eingeleitet. Nach operativer Entfernung wird das Tumorgewebe
untersucht, um gemäß spezifischer Marker oder genetischer Veränderungen die
beste medikamentöse Behandlung wählen zu können. Auch wird dann in der Regel
eine fraktionierte Bestrahlung eingeleitet, um auch ‚verstreute‘ Tumorzellen
behandeln zu können. Oft werden dabei bis zu 30 tägliche Bestrahlungen
verabreicht. Die radiochirurgische scharfe Begrenzung der Bestrahlung ist hier
zunächst nicht sinnvoll, kann aber im Fall des Wiederauftretens eines Glioblastoms
eingesetzt werden, falls eine erneute Operation nicht möglich ist.
Unabhängig von der Wahl-Methode muss das Behandlungsziel bei Tumoren im Bereich des Gehirns immer die größte mögliche Genauigkeit sein, um das gesunde Gehirn zu schonen und die Lebensqualität der Patienten zu schützen. Die technischen Fortschritte sowohl der operativen Verfahren als auch der Bestrahlungsbehandlung haben dies möglich gemacht. Am Anfang dieses Trends stand die Entwicklung der Stereotaktischen Radiochirurgie.